Vom Spinnen und Zupfen: wunderbare Schafwolle

Schafwolle
Schafwolle (Bild: Pixabay)

Gegen kalte Füße gibt es nichts Besseres als handgestrickte Socken aus echter Schafwolle. Bis die Wolle im Strickkorb landet, hat sie schon eine Reise hinter sich

Damals in der Schule hab ich es gehasst, das Stricken. Ich sehe bis heute noch den lapprigen Schal aus orangefarbener Polyesterwolle vor mir, der einfach nicht wachsen wollte. Bei all dem Grimm, mit dem ich an dem Faden zerrte, wuchs das Ding nur widerwillig und die Maschen klebten geradezu an den Nadeln. Wie ich mich auch mühte, es wurde kein flauschiges warmes Kunstwerk daraus, und bis heute kann ich mich nicht erinnern, den Schal je getragen zu haben. Trotzdem hat mich während des Studiums wieder die Lust am Stricken gepackt. Erstens, weil es in den 80er-Jahren in allen Lehrsälen mit den Nadeln klapperte, und zweitens, weil ich Wolle entdeckte: dicke, fei- ne, flauschige, glatte, in wunderbaren Farben gefärbte und kuschelig weiche Wolle.

Wunderbare Schafwolle

Wie bei jedem Handwerk gilt auch beim Stricken und Filzen: Jeder in das Material investierte Euro zahlt sich aus. Gute Wolle lässt sich einfacher verarbeiten, und aus Schafwolle Gestricktes hat ganz besondere Vorzüge:

– Die atmungsaktive Wolle hält im Winter warm und
im Sommer kühl.
– Schafwolle nimmt keine Gerüche an, die Fasern knittern nicht und nehmen kaum Schmutz auf.
– Schafwolle ist schwer entflammbar.
– Pullover, Mützen und Socken aus Schafwolle binden Schweiß chemisch und können ihn lange neutralisieren. Das schützt vor den berüchtigten „Käsefüßen“.

Dass die Wolle einiges an Feuchtigkeit aufnehmen kann, ohne sich dabei feucht anzufühlen (bei 1 kg Wolle rund 150 ml Wasser), und die Luft zirkulieren lässt, sorgt dafür, dass man in Schaf- wolle weniger schwitzt.

Da die Schafwolle uns so viel Gutes gibt, sollten auch wir et- was Gutes tun, nämlich darauf achten, verantwortlich pro- duzierte und rückstandsfreie Wolle zu kaufen – idealerweise von einem regionalen Anbieter. Das Gros unserer Wolle für die Bekleidungsindustrie kommt nämlich aus Australien und Neuseeland, wird zum Waschen nach China geschickt und hat schon mehrere Reisen um den Globus hinter sich, bis sie in unsere Hände gelangt. Mit einem der folgenden Siegel ausgezeichnete Schafwolle ist zu fairen Bedingungen für Tier, Halter und Umwelt gewonnen:

Die wichtigsten Siegel für Schafwolle

– KbT (= kontrolliert biologische Tierhaltung) ist ein Zeichen für Wolle aus artgerechter Tierhaltung. Gentechnisch veränderte Futtermittel und Tiermehl sind bei der KbT-Zertifizierung ebenso verboten wie das furchtbare Mulesing, bei dem Schafen als Schutz vor Fliegenbefall ohne Betäubung große Hautpartien um den Schwanz und an den Schenkeln he- rausgeschnitten werden. Textilien mit Kennzeichnung KbT- Wolle müssen aus mindestens 95 % Biofasern bestehen.
– Das Zertifikat GOTS (Global Organic Textile Standard) schreibt einen Anteil von mindestens 70 % an KbT-zertifizierter Wolle vor.
– Das Label Woolmark steht für Wolle von gesunden und lebenden Schafen, die gänzlich ohne Zusatzstoffe anderer Produkte auskommt.
– Reine Schurwolle (WV) darf nur Wolle genannt werden, die vom lebenden Schaf geschoren wurde. Hier sind die Fasern der Wolle intakt, die Fäden reißen nur selten und das fertige Produkt macht keine Knötchen.
– Reißwolle (WO) ist aus Resten gewonnene Recycling-Wolle, die Fasern sind nicht mehr intakt.
– Gerberwolle ist ein Nebenprodukt der Lederherstellung. Sie ist brüchig und hat zudem aufgrund der chemischen Behandlung in der Gerberei die guten Eigenschaften von Schafwolle verloren.
Einen Nachteil hat Schafwolle allerdings: Wer empfindlich ist, empfindet die feinen Härchen der Wolle als kratzig. Eine gute Alternative ist die weichere Merinowolle.

Vom Fell zum Vlies zur Wolle

Vor dem Stricken steht das Vorbereiten der Wolle. Die meisten Schafe werden einmal pro Jahr geschoren, dickwollige Rassen wie Bergschafe sogar zweimal. Die Schur findet im April oder Mai statt, und zwar nicht nur, damit die Schafe im Sommer weniger Wolle zu tragen haben, sondern auch weil die Wolle zu dieser Zeit das meiste Lanolin (Schaffett) enthält. Schon beim Scheren wird die Wolle nach Farbe und Qualität sortiert. Helle Wolle lässt sich besser färben, elastische Wolle ist weicher und lässt sich besser verarbeiten. Je feiner die Wollfasern sind und je stärker sie sich kräuseln, desto elastischer. Merinowolle ist besonders elastisch, was sie so angenehm weich macht.

Alte Handarbeits-Techniken neu erlernen

Anschließend wird die Wolle gewaschen, getrocknet und gezupft. Große Mengen kommen zum Zupfen in den sogenannten Krempelwolf, kleinere Mengen werden von Hand bearbeitet und dabei gleich von Pflanzenresten gesäubert. Diese Arbeit war früher begehrt, da das in der Schafwolle enthaltene Lanolin die Hände wunderbar pflegt (siehe auch Seite 95). Diese gezupfte Wolle nennt sich übrigens Vlies und ist ideal zum Filzen (siehe auch Seite 101). Das anschließende Kämmen oder Kardieren geschieht ebenfalls in der Kardiermaschine oder per Hand. Webseiten wie www.spinn unterricht.de oder chantimadou.de erklären nicht nur, wie man kardiert, sondern bieten auch Kurse dafür an, bei www. spycher-handwerk.ch kann man sowohl Handkarden bestellen als auch Kurse zum Kardieren belegen.

Die häßliche Spinnerin

Auch die Schicksalsgöttinnen der Mythologie, die Parzen, Nornen oder Moiren, nutzen eine Handspindel, um die Lebensfäden der Sterblichen zu spinnen. Das Szepter, das die Göttinnen in vielen Darstellungen tragen, weist ebenfalls auf eine Handspindel hin, die römische Schicksalsgöttin Klotho ist sowohl auf Sarkophagen als auch auf Mosaiken mit einer Handspindel dargestellt.

Im deutschen Volksmärchen ist dem Spinnen allerdings kein Glück beschieden. Das Rumpelstilzchen wird nicht nur um seinen Lohn geprellt, sondern betrogen, bis es vor Wut in den Boden fährt, bei Dornröschen ist die Spindel Auslöser allen Unheils. Im Grimm-Märchen von den drei Spinnerinnen erobert ein Mädchen, gerade weil es keine Lust zum Spinnen hat, den König. Auf ihrer Hochzeit wirken der Plattfuss, die hängende Unterlippe und der breite Daumen der eingeladenen drei Spinnerinnen so abschreckend, dass der König seiner jungen Frau sogar befiehlt, in Zukunft aufs Spinnen zu verzichten. Eine seltsame Haltung zu einer Tätigkeit, die nicht nur vielen Bauernfamilien ein Einkommen sicherte, sondern bis heute als weibliche Tugend gilt. Auch die vielen Redewendungen rund ums Spinnen zeigen die tiefe Verwurzelung in unserem Alltag: Da beißt die Maus keinen Faden ab, den Faden verlieren oder sich verhaspeln sind nur einige Beispiele. Die Haspel dient übrigens dem Aufwickeln des gesponnenen Fadens und ähnelt einer Kabeltrommel. Wer sich ans Spinnen macht, findet jede Menge Anleitungen, etwa unter www.handspinngilde.org/anleitungen/spinnen-mit-dem-spinnrad.html, wird jedoch bald feststellen, dass das Erlernen ohne Hilfe schwierig ist. Viele Bewegungen bedürfen einiger Erfahrung und daher sollte man die Gelegenheit nutzen, auf einem der zahlreichen Treffs und bei Versammlungen von Spinnerinnen Rat zu suchen, oder einen Kurs belegen.

Spinnen für die Seele

Das gleichmäßige Spinnen beruhigt nicht nur. Unter www. lustauffarben.de schreibt Dorothea Fischer über die positiven Auswirkungen ihres Projekts „Spinnen mit Patienten“ am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Das Schlusswort überlassen wir aber Barbara Tansil von der Wollwerkstatt im österreichischen Myrahof (wollwerkstatt-myrahof.com): „Beim Vorgang des Spinnens machen Füße und Hände von- einander völlig unabhängige Bewegungsabläufe. Diese Bewegungen in Einklang zu bringen, nennt man Koordinationstraining! Es braucht doch einiges an Übung, bis die Tretgeschwindigkeit und der Drall der Faser harmonieren. Im Gehirn bilden sich neue Synapsen, die Du vorher noch nie gebraucht hast.
Ich verwende in meinen Kursen nur Spinnräder mit Doppeltritt, damit die Wirbelsäule nicht einseitig belastet wird, und der energetische Fluss harmonisiert… Durch die gleichmäßige Bewegung des Spinnrades erfährst Du Entspannung und Ausgleich. (…) Spinnen ist eine meditative Tätigkeit, die Dir hilft, in Deine innere Mitte zu gelangen. Deine Gedanken werden geordnet, viele kreative Ideen, aber auch Möglichkeiten zur Lösung von Problemen im Alltag entstehen in Deinem Kopf. Dein Geist wird ruhig, und Du findest den Faden zu Dir selbst, den Du viel- leicht verloren hast.“ Wie wahr. Denn es kommt gar nicht darauf an, ein perfektes Stück Handwerkskunst abzuliefern, sondern es zählen die Freude und der kreative Weg dahin.

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